„Die Wunden der Überfallenen verbinden, die Räuber zur Rechenschaft ziehen und Überfälle verhindern“
An den letzten beiden Tagen war ich mit Vollversammlungsteilnehmenden auf Exkursion in der Region. Deshalb melde ich mich erst jetzt wieder.
Das thematische Plenum am Freitag bezog sich auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und hatte Europa als gastgebende Region zum Thema. Schwerpunkt war der Krieg gegen die Ukraine. Es sprachen Vertreter der – eigenständigen – Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) und der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, die im Mai diesen Jahres ihre Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat erklärt hat. Beide Kirchen verurteilen den Krieg. Der Vertreter der OKU sagte: „Die Menschen in der Ukraine werden von Räubern überfallen.“ Er dankte dem ÖRK für die öffentliche Unterstützung vom Beginn des Krieges an. Die Wahrheit sei auf der Seite des ukrainischen Volkes. Es werde siegen. „Niemand hat das Recht, Krieg und Völkermord zu legitimieren. Seien Sie Zeugen der Wahrheit!“, so Erzbischof Yevstratiy von Chernihiv und Nizhyn. Professor Dr. Sergii Bortnyk von der Ukrainischen Orthodoxen Kirche erläuterte, dass seine Kirche mit Unterstützung von außen humanitäre Hilfe leiste. Diese sei – gerade im Blick auf den Winter – weiter sehr wichtig. Viele Menschen in der Ukraine seien erschöpft. Auch er betonte die Notwendigkeit, die Wahrheit zu verteidigen. Seine Kirche, in der es schon seit den 90er Jahren den Wunsch nach Unabhängigkeit gegeben habe, wolle offener und ökumenischer werden. Der Generalsekretär der Konferenz der Kirchen in Europa sagte, dass dieser Krieg für viele in Europa den Glauben an den Fortschritt in Frage stelle. Es zeige sich unsere Verstrickung in das Böse und unser Angewiesensein auf die Liebe und Gnade Christi. Er betonte die Bedeutung humanitärer Hilfe und gegenseitiger Ermutigung durch die Kirchen. Leider sagte er nichts zu den schwerwiegenden Herausforderungen an unsere Friedensethik im Ringen um eine verantwortliche Reaktion, z.B. gegenüber Waffenlieferungen und höheren Militärausgaben. Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe, machte deutlich, dass der Krieg gegen die Ukraine die weltweite Ernährungskrise verschärft. Die humanitäre Hilfe angesichts des Ukraine-Krieges stelle das größte Hilfsprojekt dar, das Brot für die Welt je hatte. Gleichzeitig sei nach den Ursachen der Krisen zu fragen. Es gelte, Wunden zu verbinden, die Räuber zur Rechenschaft zu ziehen und Überfälle zu verhindern. Im Anschluss betonten drei junge Sprecher:innen die Notwendigkeit, auch Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer zu schützen und zu retten und Geflüchtete in Europa nicht nach unterschiedlichen Standards zu behandeln. „Lassen Sie uns den Rassismus in der Flüchtlingspolitik bekämpfen!“, sagte eine junge Frau aus Großbritannien. Ein junger Mann aus Italien sprach von einer Mission nach außen und einer nach innen. Wir sollten als Kirchen den Armen helfen und selbst interkultureller werden. Noch ein Wort zur Rede des Bundespräsidenten zu Beginn der Vollversammlung: Herr Steinmeier hatte die Vollversammlung in Deutschland willkommen geheißen und die Arbeit des ÖRK gewürdigt. Er legte in seiner Rede das Logo der Vollversammlung aus und äußerte seine Erwartung, dass im Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche sehr klar deren Unterstützung des Krieges gegen die Ukraine verurteilt werde. Ihre Position bezeichnete er als Irrlehre. Delegierte aus verschiedenen Kirchen und Ländern, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass sie seine Position teilten. Dabei zeigten sich einige erfreut darüber, dass er sich klar inhaltlich äußerte und als engagierter Christ sprach. Andere wunderten sich, dass ein politischer Repräsentant sich gegenüber einer kirchlichen Versammlung so weitreichend positionierte. Das Vollversammlungskomitee für öffentliche Angelegenheiten bereitet eine Stellungnahme zum Krieg gegen die Ukraine vor, die dem Plenum zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt werden wird.
Ulrike Schmidt-Hesse, Karlsruhe